Sonntag, 23. Januar 2011

Oktober 2010: Besprechung von Barbara Paech im Informatik-Spektrum

Gesundheit ist ein hohes Gut und deshalb sind in unserer Gesellschaft ÄrztInnen hoch angesehen. Auch Information wird überall geschätzt, aber leider färbt das kaum auf die Informatik als Wissenschaft und Beruf und die InformatikerInnen ab. Warum das so ist, rätseln viele. Sicher ist, dass der Computer als ein wesentliches Instrument der Informatik bei vielen zwiespältige Gefühle hervorruft. InformatikerInnen werden immer wieder damit konfrontiert, oft aber versuchen sie das eher zu verdrängen als sich ernsthaft damit auseinanderzusetzen. Albert Endres und Rul Gunzenhäuser zeigen in ihrem Buch „Schuld sind die Computer“, dass allein schon die Benennung dieser zwiespältigen Gefühle hilfreich ist. Ganz bewusst betrachten sie Computer und die Informatik aus unterschiedlichen Sichten: der unerfahrenen und gelegentlichen NutzerInnen, der erfahrenen und professionellen NutzerInnen, der Wirtschaft und Verwaltung, der Gesellschaftspolitik und Kultur, und der Wissenschaft und Philosophie. Sie zählen aus jeder Sicht typische Ängste, Gefahren und Probleme auf, beschreiben die jeweiligen Facetten und stellen diesen Facetten Bewertungen und Vorschläge gegenüber. Ihr Buch zielt dabei vor allem auf IT-Fachleute, aber auch interessierte Laien werden dieses Buch gewinnbringend lesen.

Gleich die im Kapitel 2 angesprochene Sicht der unerfahrenen und gelegentlichen NutzerInnen wird vielen aus dem Herzen sprechen: Computer sind oft eine Quelle von Frust, wirken aber auch wie eine Droge. Daten können wie in einem schwarzen Loch verschwinden oder durch Viren und Spam nutzlos werden. Und Informationen darf man nicht zu freizügig ins Web stellen. Wie auch in den folgenden Kapiteln haben die Autoren kein Patentrezept gegen diese Sorgen. Aber sie machen deutlich, dass schon wenige Grundregeln einigen Ärger ersparen können.

Im Kapitel 3 werden wir IT-Fachleute aufgefordert uns selbst an die Nase zu fassen. Softwarefehler, fehlgeschlagene Projekte, Herstellerabhängigkeit, Globalisierung und Informationsflut lassen sich nicht vermeiden, aber wir wissen an vielen Stellen auch wie es besser geht, und setzen das nicht konsequent ein.

Kapitel 4 thematisiert die wirtschaftlichen Risiken: Jobkiller, Energiefresser, Eigentumsverletzungen, Cyberkrieg und das Katastrophenrisiko. Ihnen werden die Chancen gegenübergestellt, aber auch die Notwendigkeit diesen Risiken bewusst zu begegnen. Auch hier sind wieder die IT-Fachleute gefragt.

Bei der gesellschaftspolitischen und kulturellen Sicht im Kapitel 5 geht es ebenso um Chancen und Risiken: gläserner Bürger, großer Bruder, Kinderpornografie, Verblödung, Vereinsamung, Digital Divide, Verschleunigung und Untergang des Bildungswesen. Hier sind alle betroffen, aber jede und jeder einzelne kann solchen Entwicklungen entgegenwirken. Und nicht zuletzt auch der Gesetzgeben.

Die Diskussion der wissenschaftlichen und philosophischen Sicht thematisiert vorrangig die Ängste vor der künstlichen Intelligenz: Modell-Gläubigkeit, Mensch-Maschine-Mischwesen, bösartige Maschinen und ewiges Leben. Im Gegensatz zu den früheren Kapiteln geht es hier nicht um aktuelle Gefahren, sondern Projektionen in die Zukunft. Diese Projektionen gibt es schon lange, aber ihr Eintreten lässt auf sich warten.

Zusätzlich zu den Sichten auf den Computer wird in Kapitel 7 auch die Sicht auf die InformatikerInnen diskutiert. Es ist ein wichtiges Anliegen dieses Buch, durch eine realistische Sicht auf die Computer auch eine realistische Sicht auf die InformatikerInnen zu ermöglichen. Darüber hinaus werden in diesem Kapitel Berufsstereotype thematisiert: zu viele Eigenbrötler, zu viel Stress, nichts für Frauen, die Kluft zwischen Praxis und Forschung und die Schnelllebigkeit der Trends. Hierin unterscheidet sich die Informatik wenig von den anderen MINT-Disziplinen.

Zu jedem Punkt in jedem Kapitel kann man viel diskutieren und die LeserInnen werden sicher immer wieder anderer Meinung als die Autoren sein. Auch für IT-Fachleute werden aber immer wieder Argumente und Hinweise auf Materialien (z.B. auch die Liste der IT-Innovationen im Anhang) neu und anregend sein. Es wirkt am Anfang etwas umständlich, dass alle Fachbegriffe, z.B. auch so etwas Triviales wie Tabellenkalkulation, erklärt werden. Ein wichtiger Effekt davon ist allerdings eine Sensibilisierung in Bezug auf die eigene Fachsprache, die wir oft zu selbstverständlich verwenden. Auch das ist eine Hürde für das Verständnis zwischen InformatikerInnen und ihrer Umwelt.

Dieses Buch wirft ein vielfältiges Licht auf die Informatik. Es eignet sich hervorragend für Seminare in der Hochschullehre, aber genauso gut zur Versachlichung realer und virtueller Stammtischdiskussionen. Ich wünsche ihm viele LeserInnen und insbesondere, dass die Themen von vielen aktiv aufgegriffen und weiterentwickelt werden.

Prof. Dr. B. Paech, Universität Heidelberg; Informatik-Spektrum 33,5 (2010), 527-528

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